Bernhard Wessling

NACHHALTIGKEIT UND ENTROPIE AM BEISPIEL CO2-ENDLAGERUNG (CCS)

Bisher gibt es für „Nachhaltigkeit“ kein allgemein einsetzbares und vor allem kein quantitatives Kriterium. Vielmehr wird inzwischen alles mögliche schon inlfationär als „nachhaltig“ bezeichnet, ohne es zu begründen. Auch in der Wissenschaft wird der Begriff oft verwendet, ohne zu definieren, was die jeweiligen Autoren darunter verstehen. Ökobilanzen stützen sich auf zahlreiche (und nicht zu sagen: zahllose) Parameter, und für unterschiedliche Produkte oder Vorgehensweise / Verfahren gibt es nur geringe Schnittmengen der verwendeten Parameter, sodaß diese kaum miteinander verglichen werden können.

In einem Artikel für die „Naturwissenschaftliche Rundschau“ (Nr. 9/10-2023) mit dem Titel „Zufall und Komplexität sind Geschwister“ habe ich erstmals den Vorschlag gemacht, Entropie als quantitatives Kriterium für Nachhaltigkeit zu verwenden. 

Diesen Vorschlag arbeitete ich in einem Artikel für Leibniz-Online (dem Online-Magazin der Leibniz-Sozietät) näher aus: „Entropie als Kriterium für Nachhaltigkeit – CO2-Endlagerung bzw. Nutzung (CCS/CCU) nicht nachhaltig“ (erschienen 20. 3. 2024).

In einem Artikel, der im Mai in „Naturwissenschaftliche Rundschau“ erscheinen wird, gehe ich in etwas anderer und etwas tiefer gehender Form auf das Thema ein. 

Die unten dargestellte Analyse ist in unterschiedlicher Form inzwischen in verschiedenen Medien wiedergegeben worden:

Einleitung des Interviews bei SpringerProfessional: Die Entropie, also die nicht mehr nutzbare Energie, wird bisher bei der Diskussion technologischer Ansätze zur Reduktion der CO2-Konzentration viel zu wenig beachtet. Im Interview erklärt Springer-Autor Dr. Bernhard Weßling, warum eine Orientierung an den Leitsätzen des Zweiten Satzes der Thermodynamik und damit an der Entropie zwingend erforderlich ist. (Link zum Interview)

Hier nun eine kurze Analyse anläßlich der am 10. 4. 2024 von der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) veröffentlichten „Ad-hoc-Stellungnahme“ mit dem Titel: „Schlüsselelemente des Kohlenstoffmanagements“ 

   (Sie ist in dieser oder ähnlicher Form an verschiedene Medien gegangen.)

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Dr. Bernhard Weßling – eine rein naturwissenschaftliche Analyse:

CCS und CCU: alles andere als nachhaltig – Energie- und Entropieanalyse deckt grundsätzliche Irrtümer auf –

Kürzlich wurde von der Leopoldina eine Ad-hoc-Stellungnahme zur Entnahme und Speicherung von CO2 veröffentlicht (PV-Magazin berichtete). Diese Nationale Akademie der Wissenschaften fordert darin, dass der Atmosphäre zusätzlich zur Einsparung von Emissionen auch dauerhaft CO2 entzogen und gespeichert (endgelagert) werden müßte. Es müßten jährlich 60 bis 130 Millionen Tonnen sein. Zwar werden auch Ökosysteme (Moore, Wälder) erwähnt, deren Speicherpotential könne aber noch nicht quantifiziert werden. Neben der Speicherung (CCS) wird auch die Nutzung (CCU) positiv bewertet und empfohlen.

Es gibt auch immer wieder kritische Stimmen dazu, die jedoch alle politischer Art sind und im wesentlichen nur auf 3 Aspekte verweisen: a) Mit CCS / CCU werde es erlaubt, weiterhin fossile Energieträger zu nutzen und auch die Zementindustrie so weitermachen zu lassen wie bisher; b) die Speicherung sei nicht sicher, und c) CCS / CCU seien zu teuer.

Der entscheidende Aspekt wird übersehen: Weder CCS noch CCU sind nachhaltig. Das heißt, sie verursachen an anderer Stelle der Umwelt weit mehr Schäden (Kollateralschäden), als an positiven Effekten für das Klima erhofft wird. Das ergibt sich aus einer Energie- und einer Entropie-Bilanz von CCS bzw CCU.

In einem Grundsatz-Artikel sind Details dazu nachzulesen, er wird in „Naturwissenschaftliche Rundschau“ Nr. 5-2024 erscheinen. In diesem Artikel wird auch in den thermodynamischen Hintergrund dazu eingeführt, in sehr einfach verständlicher Form.

Es ist fraglos ein bislang ungewöhnlicher Gedankengang, nichtsdestoweniger auf solider naturwissenschaftlicher (thermodynamischer) Basis. Eine Kritik daran müßte ebenfalls auf thermodynamischer Basis stehen und z.B. Rechenfehler oder einen grundsätzlichen Gedankenfehler nachweisen (den ich nicht ausschließen kann), deshalb stelle ich ja meinen Vorschlag unter Wissenschaftlern zur Diskussion, und auch der Leopoldina habe ich ihn zukommen lassen.

Aber wahrscheinlich ist eine reine Energiebetrachtung für die Allgemeinheit leichter zugänglich.

Für die Absorption und Speicherung von 1 Tonne CO2 (mittels CCS) sind insgesamt 16 Mio kJ (= 16 GJ) Primärenergie erforderlich (zur Bereitstellung von Wärme und Elektrizität inkl Wirkungsgradverlusten), das ist etwa 6 Mal so viel, wie wir an Energie nutzen konnten, als diese 1 Tonne CO2 in einem Kraftwerk erzeugt wurde (Details dazu in dem Artikel für die „Naturwissenschaftliche Rundschau“). Allein das müßte ausreichen, uns klarzumachen, daß CCS nicht nachhaltig ist.

Nun müssen wir das Ganze aber noch mit 60 bis 130 Millionen Tonnen CO2, die die Leopoldina mittels CCS / CCU zu entfernen für notwendig hält, multiplizieren. Wenn wir als Mittelwert 100 Mio t für die Berechnung nehmen, kommen wir auf einen Primärenergiebedarf von 1.600 PJ (1.600 Billiarden Joule).
– Das wären 15% des Primärenergieverbrauchs Deutschlands in 2023 oder gut 18% des für 2030 angestrebten Primärenergieverbrauchs (siehe das Diagramm des Umweltbundesamtes).

Ein visuelles Argument kann vielleicht eine noch bessere Vorstellbarkeit ermöglichen. In der Abbildung sieht man die im Bau befindliche CCS-Anlage „Mammoth“ von Climeworks in Island (Foto (C) Climeworks). (unter dem Foto geht der Text weiter)

Diese Anlage kann 36.000 t CO2 pro Jahr einsammeln und verpressen. Von dieser Art Anlage bräuchte man für jährlich 100 Mio Tonnen CO2 rein rechnerisch 3.000 Stück. Natürlich würden es nicht 3.000 genau solcher Anlagen sein, aber man kann eine bessere Vorstellung von den notwendigen Größenordnungen bekommen. Egal wie die Anlagen großtechnisch aussähen: Sie erfordern mehr als 18% des deutschen Primärenergieverbrauchs im Jahre 2030. Wie man es sich weltweit vorstellen muß, wird klar, wenn man sich in dem Grundsatz-Artikel die Passage zur notwendigen Größenordnung von CCS-Anlagen im Vergleich zur heutigen Ölindustrie durchliest. Dort wird eine wissenschaftliche Studie zitiert, die die zu verarbeitenden Volumina betrachtet: Allein um die 2030 nicht vermeidbaren CO2-Emissionen aufzufangen und abzuspeichern, bräuchte man eine Industrie, die etwa 20 Mal so groß sein müßte wie die heutige Ölindustrie.

Was CCU anbelangt, ist es noch absurder: Nur hypothetisch gedacht – wenn man ALLE theoretisch mit CO2-Folgeprodukten ersetzbaren Stoffe ersetzen würde, könnte man nur 10% des anfallenden CO2 entfernen. Um also bestenfalls 10 % der weltweiten jährlichen CO2-Emissionen zu beseitigen, bräuchte die chemische Industrie aber 55 % der weltweiten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien (wie für 2030 prognostiziert). Dies ist, wiederum mit anderen Worten, nichts anderes als eine Manifestation der Entropie.

Das gilt aber nur für die chemische Umwandlung des CO2! Vorher muß es ja noch eingesammelt und verflüssigt werden. Dann sieht es noch absurder aus, denn: Bei der derzeit jährlichen CO2-Emissionen von etwa 36 Gigatonnen benötigen wir nur für die Stabilisierung der CO2-Konzentration auf aktuellem Niveau ca 22 PWh an elektrischer Energie (und 72 PWh thermischer Energie). Die für 2030 prognostizierte Gesamtstromerzeugung von ca 33 PWh würde somit zu 2/3 für CCS bzw DAC benötigt werden. Wohlgemerkt: der Gesamtstrombedarf, nicht nur der aus regenerativen Energiequellen. Mit welchem Strom soll dann die weltweite Infrastruktur und Industrie betrieben werden? Es blieben ja nur noch 9 PWh Strom konventioneller zusammen mit regenerativer Erzeugung für das übrig, was heute (2023) knapp 30 PWh erfordert.

Es wäre sicherlich sinnvoll, CCS und CCU nochmals grundsätzlich zu durchdenken, und das endlich mal nicht politisch, sondern naturwissenschaftlich, genauer: thermodynamisch. Die Naturgesetze können nicht überwunden werden, indem man sie ignoriert.

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Über den Autor Dr. Bernhard Weßling: Die Leser mögen bitte keinerlei Befürchtungen hegen, dass sie es bei ihm mit einem „Klimaleugner“ o.ä. zu tun hätten. Er ist promovierter Chemiker und seit Jahrzehnten neben seinem Beruf im Umwelt- und Artenschutz (inkl. Klima) aktiv tätig (wie man auf seiner Webseite erkennen kann). Er hat sich aus seiner eigenen hauptberuflichen chemischen Forschung und Produktentwicklung heraus sowohl mit Thermodynamik als auch mit Nachhaltigkeit wiederum aktiv, nicht nur theoretisch / schreibend / diskutierend, beschäftigt. Er war 1990 Mitgründer und größter Investor des ersten Windparks in den damals Neuen Bundesländern (am Kap Arkona auf Rügen), hat selbst privat seit 2018 eine 10-kW-PV-Anlage auf seinem Hausdach, fährt seit 6 Jahren ein Elektroauto (Renault ZOE), ist seit 2009 Investor und Mitgeschäftsführer eines Biohofes, der über die Zeit hinweg vergleichsweise groß entwickelt wurde mit nunmehr 450 ha Pachtland, 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 7 eigenen Hofläden und der wohl größten Solawi Europas. Und dieser Hof hat vor gut 1 Monat eine 100-kW-Solaranlage in Betrieb genommen. Die 450 ha Pachtland des Hofes sind größer als der Durchschnitt der deutschen Naturschutzgebiete, und diese Flächen leisten signifikante Beiträge für die CO2-Speicherung und die Biodiversität.

Bernhard Wessling