15. 10. 2024: Das neue Cover wurde nach meinem Vorschlag entworfen, nachkorrigiert und ist nun fertig.
18. 9. 2024: Das Manuskript ist fertiggestellt und beim Verlag eingereicht.
Vorwort zur 2. Auflage
Die beiden größten Tyrannen der Erde, der Zufall und die Zeit.
Johann Gottfried Herder
Mehrere Geschehnisse und Beobachtungen waren Auslöser dafür, dass ich über eine aktualisierte und erweiterte Auflage dieses Buches nachzudenken begann. So las ich in der ZEIT vom 14. Februar 2024 einen Artikel mit folgender Überschrift: „Aufwachen! Krise folgt auf Krise – das hält keiner mehr aus. Eine Suche nach Wegen aus der großen Erschöpfung“.1 Ich war irritiert: Ist es wirklich so, dass wir in einer außergewöhnlichen Zeit vieler gleichzeitiger Krisen leben? Polykrisen wie sie die Menschheit noch nie erlebt hat, sodass es keiner mehr aushalten kann? Aber was genau sind eigentlich Krisen? Über diese Fragen begann ich nachzudenken und zu recherchieren. Das allein aber hätte mich noch nicht zu einer Aktualisierung und Überarbeitung meines Buches motivieren können.
Hinzu kam, dass einige der Leser – zumeist naturwissenschaftlich nicht besonders vorgebildete – mir nach der Lektüre des Buches schrieben oder nach einem Vortrag sagten, sie hätten Entropie nun endlich in Grundzügen verstanden. Hingegen hatten naturwissenschaftlich vorgebildete Leser offenbar mehr Schwierigkeiten. Bei ihnen, so scheint mir, behindert die ihnen eingebrannte, extrem verkürzte und allzu vereinfachte – daher missverständliche und unzureichende – Deutung von Entropie als Maß für Unordnung ein umfassendes und zutreffenderes Verständnis, wie ich es mit meinem Buch vermitteln möchte. Auch das vorherrschende Gleichgewichtsparadigma, welches ich an vielen Stellen des Buches kritisch behandele, erweist sich als mächtige Verständnisbarriere. Deshalb versuche ich in dieser Auflage, meine Argumente noch klarer zu formulieren und weitere Belege aufzuzeigen.
Mich hat außerdem recht betroffen gemacht festzustellen, dass nicht nur Thermodynamik allgemein, sondern vor allem Nicht-Gleichgewichts(NGG)-Thermodynamik weithin unverstanden und sogar aktiv ignoriert wird. Einführende Pflicht-Vorlesungen in diese moderne Wissenschaft konnte ich an keiner Universität im regulären Studienplan finden. In der Oberstufe der Gymnasien ist weder in der Chemie, noch in der Physik etwas über dieses wichtige Gebiet der Wissenschaft zu finden. Wenn ich bisher glaubte, ich hätte deshalb ein unzutreffendes Bild, weil ich nicht systematisch recherchiert hatte, zeichnet sich inzwischen nach vielen Gesprächen für mich aber ab: Thermodynamik wird für überholt und unwesentlich gehalten, stattdessen sind Quanten der letzte Schrei. Die Mehrzahl besonders der Physiker glaubt, dass (selbstverständlich bald!) alle Naturgesetze auf Quantenphysik zurückgeführt werden können. Dem (inzwischen emeritierten) Professor für Didaktik der Physik an der Universität Münster, H. Joachim Schlichting, gelang es nur ein einziges Mal für exakt 3 Jahre, nicht-lineare Physik (die physikalische Schwester der chemischen NGG-Thermodynamik) im Lehrplan für Leistungskurse unterzubringen, und das nur in einem einzigen Bundesland. Quanten- und Relativitätstheorie findet man jedoch flächendeckend, das ist gut so, keine Frage! Aber warum nur diese? Denn wie wenig das für ein – soweit heute möglich – umfassendes Verständnis der Welt ausreicht, werde ich nun etwas stärker beleuchten.
Umso erfreuter war ich, als ich – leider für die 1. Auflage zu spät – auf die Arbeiten der Forschergruppe um Ulrich Schreiber und Christian Mayer stieß. Sie forschen seit 20 Jahren über die Entstehung des Lebens auf der Erde und haben eine faszinierende Hypothese auf Basis der NGG-Thermodynamik aufgestellt, wie die erste Zelle entstanden sein könnte – sie haben dazu inzwischen experimentelle Belege in großer Zahl vorliegen. Nach erster schriftlicher Kommunikation trafen wir uns an der Universität in Essen und tauschten uns angeregt über unsere unterschiedlichen Wege zu dieser modernen Thermodynamik aus. Von den Ergebnissen dieser Forschung werden Sie in der neuen Auflage dieses Buches daher ebenfalls etwas finden können.
Erstaunlich fand ich, dass trotz der vielen Beispiele aus dem täglichen Leben, aus Evolution, Ökologie und Kosmologie, die ich anführe, die meisten dennoch Entropie für bestenfalls in akademischen Diskussionen relevant halten, die keine wichtige Rolle in der realen Welt spiele. Ja wirklich? Was ist denn der Wirkungsgradverlust eines Kraftwerks anderes als die Manifestation von Entropie? Oder zerbröselnde Brücken und sich häufende Schlaglöcher in Straßen, Abrieb von Reifen, Mikroplastik (bis in die Antarktis und die Tiefsee zu finden), Feinstaub, Rost aus der Korrosion von Eisen, Haus- und Industriemüll, Asche und CO2 nach der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas? Im Zuge dessen kam ich darauf, mir die zunehmend inflationäre und sinnentleerte Verwendung des Begriffs Nachhaltigkeit vorzunehmen. Ich begann zu untersuchen, ob Entropie nicht generell als einigermaßen quantifizierbares Kriterium für Nachhaltigkeit verwendet werden könnte und müsste. Das führte zu einigen Veröffentlichungen, Diskussionsbeiträgen2 und schlussendlich zu zwei neuen Kapiteln (7 und 8), sodass die bisherigen Kapitel 7 und 8 über das Wesen bzw. unsere Wahrnehmung der Zeit nun als Kapitel 9 und 10 erscheinen.
In den beiden neuen Kapiteln untersuche ich mit Hilfe der Entropie die Nachhaltigkeit von technologischen Verfahren zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre respektive Abgasströmen und dessen Speicherung in tiefen Erdschichten bzw. dessen Nutzung über weitere chemische Verfahren mit Hilfe von regenerativer Energie. Alternativ dazu skizziere ich die Speicherung / Nutzung von CO2 mittels natürlicher Ökosystemen und biologischer Landwirtschaft (Kapitel 8). Denn schließlich müssen wir bei allen Maßnahmen, die wir zur Bewältigung zwei der kompliziertesten Krisen, mit denen wir derzeit zu tun haben – dem Klimawandel und der Biodiversitätskrise – immer darauf achten, keine schwerwiegenden Kollateralschäden in anderen Bereichen der Umwelt zu verursachen; unsere Maßnahmen müssen zugleich langfristig wirksam sein.
Den letzten Anstoß zur Neuauflage gaben Veröffentlichungen des Londoner theoretischen Physikers Jonathan Oppenheim. Seine neue Theorie verspricht, das bisher ungelöste Problem der Verbindung zwischen Quantenphysik und Gravitation zu lösen, und zwar nicht mit einer Quantengravitationstheorie. Professor Oppenheim stellt die Gravitation als klassische (nicht quantisierte) Kraft dar, die aber zufällig (!) hier und da, dann und wann sich anders verhält, jedenfalls nichtlineare Sprünge vollführt. Ein Ergebnis dieser Sprünge umreißt er so: „Die Geschwindigkeit, mit der die Zeit verläuft, ändert sich willkürlich,“ wie Oppenheim dem Guardian gegenüber ausführte.3 Und da mein Buch vom Zufall und vom Wesen der Zeit handelt und ich darzulegen versuche, warum und wie diese Phänomene zusammenhängen (und warum die Quanten damit nichts zu tun haben), werden wir uns in dieser Auflage nun auch mit Oppenheims post-quantum theory of classical gravity befassen.4 Sie werden sehen, dass sich daraus einige starke Belege für meine Hypothese über das Wesen der Zeit ergeben. Und dass all dies dann ein – immerhin qualitativ widerspruchsfreies – Verständnis über die Ursachen von Unvorhersehbarkeit (Zufall), Komplexität und Krisen im Zusammenspiel mit dem Wesen der Zeit, in der sich das alles abspielt, ermöglicht. Theoretiker werden sich, wenn sie mögen, damit auch auf mathematische Weise beschäftigen können.
Und so hoffe ich, mit der nun vorliegenden aktualisierten und erweiterten Auflage genug Stoff und Anlass für mehr und tiefergehende Diskussionen zu liefern. Immer mit dem Ziel, die Welt, in der wir leben, auch mit Hilfe der NGG-Thermodynamik besser zu verstehen. Und besser mit ihr umzugehen, indem wir Entropie als Maßstab für nachhaltiges Wirtschaften ernst nehmen. Ich plädiere gerade wegen der aktuell schwer lösbar erscheinenden Probleme dafür, fröhlich und mit Zuversicht aktiv daran mitzuhelfen, die Krisen unserer Zeit zu bewältigen. Frei nach dem Motto: Global denken, lokal handeln.
Und ich schlage vor, dass Sie, bevor Sie nun ins Buch einsteigen, ganz schnell auf die letzten beiden Seiten vor dem Anhang blättern und das Gedicht Sommermorgen von Marie von Ebner Eschenbach lesen, das ich – natürlich zufällig! – einige Tage vor Beginn der Korrekturlesung an der 1. Auflage im Radio gehört und schon damals in letzter Minute ins Buch eingebaut hatte. Dann betrachten Sie bitte in Ruhe das nach dem Gedicht abgedruckte Foto und rufen Sie sich dabei ähnliche Beobachtungen, die Sie selbst gemacht haben, ins Gedächtnis.
und hier geht’s zum Vorwort der 1. Auflage
3https://www.theguardian.com/science/2023/dec/04/wobbly-spacetime-may-resolve-contradictory-physics-theories?ref=upstract.com [1.8.2024]
4Oppenheim, J.: A postquantum theory of classical gravity? In: Physical Review X 13, 2023