Dr. Bernhard Weßling 11. 7. 2025
Kritische Anmerkungen zur Studie „Mit Ocean-Farming unseren Planeten abkühlen: CO₂-Entnahme als dritte Säule des Klimaschutzes“
Sehr geehrte Autorinnen und Autoren der o.g. Studie,
ich habe diese Ihre Sätze sehr ernst genommen:
„Als Autoren-Team würden wir uns wünschen, dass unsere Leserinnen und Leser zunächst ihre eigenen, möglicherweise bereits gefassten Meinungen und Vorurteile beiseite stellen, um sich unvoreingenommen auf die folgende Argumentation einzulassen und anschließend die eigene Haltung zu überprüfen. Wir möchten dazu einladen, die politischen Konsequenzen des Handelns und die des Nicht-Handelns abzuwägen und im Idealfall eine neue Haltung zur politischen Gestaltungsaufgabe der CO₂-Entnahme zu entwickeln. Und: Großalgen muss man nach der Lektüre dieses Papers nicht lieben – eine neue Wertschätzung wäre aber hilfreich.“
Als kritischer Leser Ihrer Studie würde ich mir nun wünschen, daß Sie Ihrerseits unvoreingenommen (was sicherlich sehr schwer ist) meinen kritischen Gedanken zu folgen versuchen. Dazu greife ich einige aus meiner Sicht Kernsätze Ihrer Studie heraus und entwickele meine Gedanken dazu, die naturgemäß hier kürzer und kompakter ausfallen als Ihre Studie.
Gestatten Sie mir vorab, darauf hinzuweisen, daß der Kern meiner kritischen Gedanken auf der Basis von Kapitel 7 und (hier nun vor allem) Kapitel 8 meines Buches über den „Ursprung von Unvorhersehbarkeit, Komplexität, Krisen und Zeit“ (SpringerNature März 2025, siehe https://www.bernhard-wessling.com/zufall-2) beruht. Sie schreiben u.a.:
„Ergänzend sollten den biologischen Optionen eine höhere Aufmerksamkeit zukommen, da diese neben ihrem Beitrag zur Kohlenstoffentnahme auch andere wichtige Beiträge zur Nachhaltigkeit (Biodiversität, Nahrungssicherheit, Erhalt von Lebensräumen, Wüstenbegrünung) leisten können.“
Das ist deckungsgleich mit der Kernaussage von Kapitel 8 meines Buches, in dem ich die unterschiedlichsten natürlichen und zu renaturierenden Ökosystemen daraufhin untersuche, ob sie die notwendige CO2-Entnahme- und Speichermenge auf natürliche, nicht-industrielle Weise bewerkstelligen könnten: Ja, sie könnten es, wenn wir sie nur machen ließen. Sie sprechen nun „Blue Carbon Systems“ an:
„Diese Formen von Blue Carbon Systems speichern organisches Material über Jahrhunderte in bis zu 10 Meter dicken Kohlenstofflagerschichten. Sowohl die Kohlenstoffeinlagerung im Wurzelwerk als auch das luftdichte Einschließen von Tier- und Pflanzenrückständen häufen mit der Zeit immer mehr kohlenstoffhaltiges organisches Material an. Dadurch werden klimaschädliche Treibhausgase der Atmosphäre entzogen. Sie speichern pro Fläche bis zu 30-mal mehr Kohlenstoff als tropische Regenwälder.“
Auch das finden Sie in Kapitel 8, wir müßten diese Ökosysteme nur machen lassen, was sie können!
„Küstennahes Blue Carbon konkurriert mit anderen Nutzungen wie Schiffsverkehr und leidet unter Schadstoffeinträgen aus Industrie, Landwirtschaft und Abwasser.
…
…Sargassum als Plage … Eutrophierung“
Ja, Natur- und Artenschutz konkurriert weltweit ständig mit unserer industriellen und konsumorientierten Nutzung; wenn wir die Schadstoffeinträge nicht stoppen wollen, dann soll die CO2-Entnahmeaufgabe ausgelagert werden in ferne erdteilgroße Ozeanflächen, die wir hinsichtlich ihrer Rolle im Wetter- und Klimageschehen sowie im globalen Ökosystem so gut wie nicht kennen?
– Warum aber konzentrieren wir uns nicht auf die Ökosysteme, die es gibt, die wir haben, die wir kennen, die wir „nur“ renaturieren und in Ruhe lassen müßten, uns also „nur“ in der Nutzung einschränken müßten?
„… industrielle Kultivierung schnell wachsender, freischwimmender Großalgen zielen … ein visionärer Ansatz: In den riesigen, nährstoffarmen, subtropischen Wirbeln – den „Wüsten der Meere“, die 50 Prozent der Erdoberfläche ausmachen – ließe sich nährstoffreiches Wasser aus 400 bis 1.000 Meter Tiefe an die Oberfläche pumpen, um das extrem schnelle Wachstum von Großalgen zu fördern und diese zu „ernten“. Die Technologien für die Durchführung solcher Vorhaben sind bereits zum Teil bewährt und industriell im Einsatz wie bei Offshore-Drill- und Windkraftanlagen.
… Mit einer voraussichtlichen Erntezeit von nur zwei bis drei Wochen ermöglichen sie eine effiziente und kontinuierliche Produktion. Viele der notwendigen Basistechnologien dafür sind längst etabliert: Offshore-Windanlagen, TiefseeBohrinseln, schwimmende Plattformen, Meerwasser-Wärmepumpen, Geothermie oder Saugbagger …“
Sie plakatieren die Biodiversität unter Sargassum-Algenteppichen in der Sargossa-See. Aber wenn die industriell angebauten Teppiche innerhalb von 2 – 3 Wochen geerntet werden sollen, wie kann sich dann darunter Biodiversität entfalten?
Außerdem wollen Sie Meerwasser aus Hunderten von Metern Tiefe herauspumpen, dafür benötigen Sie nicht 20 oder 30 handliche Pumpen, sondern Sie wollen „Millionen von Kubikkilometern Tiefenwasser“ heraufpumpen, das ist eine giga-gigantische marine Industrie, die Sie da beschreiben:
„Mit einer ,Plantagenwirtschaft’ von freischwebenden Großalgen ließen sich die nahezu unbelebten Meereswüsten kultivieren
Um das große Ziel von 450 Gigatonnen gebundenem Kohlenstoff zu erreichen, müssten dafür Millionen von Kubikkilometern Tiefenwasser auf großen Flächen genutzt werden. … das nährstoffreiche Tiefenwasser ist kostenlos verfügbar.“
Es wäre ein gigantischer Eingriff in ein Ökosystem von globalem Ausmaß; Wüsten (was sie nicht sind, sie sind nährstoffarm, aber nicht Wüsten) sind nicht wertlos in den Ökonetzwerken und nicht eine neutrale, unwirksame Leerstelle im Wettergeschehen und der Klimaentwicklung. Fußballfeldgroße Algenteppiche, wie sie bestehen, und die ja auch nicht nach 2 Wochen abgeerntet werden, sind im bestehenden marinen Ökonetzwerk produktiv eingebunden. Aber was ein erdteilgroßes Feld bewirken würde, wissen wir nicht, und Sie auch nicht. Das ist verantwortungslos. Genauso verantwortungslos wie die Absicht, DAC und CCS in den Gigatonnenmaßstab zu skalieren (siehe Kapitel 7 bzw. meinen kürzlichen Artikel in „Physik in unserer Zeit“, https://www.bernhard-wessling.com/nachhaltigkeit_und_entropie)
Ihr Vorschlag ist ein Versuch von Geoengineering in tatsächlich globalem Ausmaß, ohne auch nur die geringste Vorstellung davon, was das global mit den Ökosystemen und der Wetterdynamik macht, ja sogar mit Meeresströmungen und natürlichen Klimazyklen.
Und dieses nährstoffreiche Tiefenwasser ist „kostenlos verfügbar“? Wer trägt denn die Kosten für die irrsinnig großen und zahllosen Tiefenwasserpumpen? Wieviel benötit man dafür, wie werden sie hergestellt (Stahlbedarf?)? Wie werden sie betrieben (Energiebedarf?) und gewartet?
Was machen diese „Millionen von Kubikkilometern“ mit den Meeresströmungen? Wie reagieren Wale und Delfine auf die mit Sicherheit nicht stummen, sondern ständig röhrenden Pumpen?
„… langfristige Bindung des so aus der Atmosphäre entnommenen Kohlenstoffs in dauerhaft genutzten Materialien oder durch Verpressung und Versenkung in der Tiefsee – anstatt eines natürlichen Absinkens abgestorbener Biomasse mit Sedimentierung in der Tiefsee.“
Und dann müssen die Algen nach der Ernte noch gepreßt werden – hhhmmm, das müssen ganz schön große Pressen sein, mit denen Milliarden von Algentonnen gepreßt und dann wieder auf See verbracht werden, um dann in der Tiefsee angelagert zu werden. Das ist weder geldseitig kostenlos, noch energieseitig, noch hinsichtlich Entropie, die ich als Kriterium für Nachhaltigkeit einzuführen vorschlage.
„Die stoffliche Nutzung von Algen in langlebigen Produkten eröffnet dazu ein breites Spektrum an Möglichkeiten … Die stoffliche Nutzung bietet das Potenzial, die gesamte Menge zu verwerten, die für eine Entnahme von 450 Gt Kohlenstoff nötig wäre.“
Das ist reine Spekulation, der dafür erforderliche Energieaufwand von Ernte über Transport bis Trocknung und Aufbereitung, bevor auch nur tatsächlich die Verfahren zur Nutzung ansetzen können, wurde ja gar nicht untersucht.
– Nutzung in der Kunststoffindustrie ist ein lächerlich geringes Potential gemessen an den Gigatonnen, die laut Studie in Form von Algen anfallen würden (Faktor >3 verglichen mit der durch Algen anvisierten CO2-Entnahmemenge): Es würden 1.400 Gt Algen auf dem Meer schwimmen und müßten geerntet werden, verglichen mit 0,6 Gt Kunststoffmenge (von der ja nur ein Bruchteil ersetzt werden könnte), ebenso beim Stahl, bei dem nur ein Bruchteil eines Bruchteils von 18 Gt in Form von Kohlefasern (welch ein Aufwand!) ersetzt würde.
– synthetische Biokraftstoffe sind bereits mit meiner vorliegenden Analyse als nicht nachhaltig erkannt worden.
– synthetische Düngemittel (auch aus Algen!) sind, wenn die Landwirtschaft im Sinne eines nachhaltigen Klimaschutzes biologisch betrieben würde, kontraproduktiv, denn bei einer vernünftigen Kreislaufwirtschaft eines voll integriert und biologisch arbeitenden landwirtschaftlichen Betriebs benötigt man keine wie auch immer extern hergestellten Düngemittel, sondern man hat sie aus den eigenen Ställen und durch Gründüngung in der Fruchtfolge.
Ich schlage vor, gemeinsam unvoreingenommen die Entropieproduktion des von Ihnen vorgeschlagenen Vorgehens zu ermitteln und danach zu beurteilen, ob ocean-farming nachhaltig ist.
Zusatz (12. 7.):
Aus einem ersten (allerdings nur kurzen) Austausch mit einem der Autoren der Studie sind diese Teile der Diskussion direkt mit den Aussagen der Studie bzw. meiner Kritik daran verknüpft:
„Jedenfalls kenne ich keine zielführende politische kommerzielle Strategie, in wenigen Jahrzehnten 450 Gto C aus der Atmosphäre zu holen.“
Meiner Meinung nach müßte eine solche Strategie eben genau in die Richtung gehen, klimawandel- und artenschwund-stoppende Wirkung zugleich zu erzielen. Es darf nicht sein, daß Maßnahmen zum Klimaschutz letztlich den Artenschwund, die Landschaftszerstörung, Bodenerosion, Rohstoffverschwendung uswusw beschleunigen. Das genau aber tun DAC, CCS und auch (jedenfalls meinem bisherigen Eindruck nach aufgrund Ihrer Studie) Algenfarmen.
„Ihre Behauptung ist durch nichts zu begründen:
Die Makrolagenfarmen in kontrollierbarem Ausbau werden die Biodiversität der Meere massiv aufbauen.
Warum solle es den dort anders sein als in der Sargossasee, die Hochseeregion mit der größten Biodiversitätsdichte?“
Aus 2 Gründen: 1) weil Ihre Algenfelder nach 2 – 3 Wochen Wachstumszeit abgeerntet, gepreßt und in die Tiefsee vebracht werden sollen: In der kurzen Zeit und vor allem in der geplanten riesigen Fläche, die nach der Studie zu erwarten ist, kann sich keine Biodiversität entwickeln (im Gegenteil: das Meer wird großflächig verdunkelt); 2) hinzu kommt der gewaltige technische Aufwand, der erforderlich ist, um die nährstoffhaltigen Wasserschichten aus hunderten von Metern Tiefe an die Oberfläche zu befördern; das ist ja nicht mehr eine kleine Pumpe, die für einen fußballfeldgroßen Algenteppich in der Sargossa-See ein bißchen Wasserumschlag bewirken soll, sondern es geht um, wie Sie schreiben, „Millionen von Kubikkilometern Tiefenwasser“ heraufpumpen! Das wird zusätzlich zu dem gewaltigen Material- und Energie- (und Infrastruktur-!)Aufwand auch einen extremen Lärm verursachen, der über hunderte (tausende?) von Kilometern Entfernung hinweg Wale und Delfine in unerträglicher Weise belasten wird.
– Algenfarmen stellen die gleiche Versündigung an der Natur dar, wie die Aufforstung von (beweideten) Savannen, die wesentlich mehr CO2 als Kohlenstoff im Boden speichern als Monokulturforste und zudem Horte der Biodiversität sind – Monokulturforste sind Friedhöfe der Biodiversität.
Zusatz (16. 7.)
Ist die Sargassum-Alge in dem von den Autoren vorgesehen Gebiet des Ozeans (im Südatlantischen Wirbel) beheimatet? Oder wäre sie dort eine invasive Art, die – zumal industriell angebaut und durch Veränderung der Meeresströmungen letztendlich künstlich gedüngt – das marine Ökosystem dort und im Gefolge weltweit stört und zerstört?
– Wie will man das untersuchen, ohne es dort zu „probieren“ mit der Gefahr, die Invasion einer Art bereits beim „Probieren“ verursacht zu haben? (wie es so häufig in der Geschichte der Menschheit mit fatalen Folgen für die jeweiligen Ökosysteme und die Artenvielfalt geschehen ist.)